Forum geobotanicum (2004) 1:9-18 |
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Jörg Ewald Ökologie der Weißtanne (Abies alba Mill.) im bayerischen Alpenraum Ecology of silver fir (Abies alba Mill.) in the Bavarian Alps |
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Published online: 9 November 2004 |
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Abstract Based on queries of the phytosociological databank BERGWALD, a compilation of 3.504 forest vegetation plots from the Bavarian Alps, the ecological niche of Abies alba is re-assessed. The tree species occurs mostly admixed in mountain forests with Fagus and Picea rather than forming distinctive communities of its own. Climatically, Abies is widely distributed to the upper limit of the montane belt, but occurs only sparsely in subalpine forest. Analysis of Ellenberg indicator values based on total species composition yielded the following results: As a tolerant species Abies regeneration has a marked preference for shady forest, which in turn Abies tree layers themselves help create. It also has a clear preference for acidic topsoil conditions. Sites with low N-supply, such as early successional stages on raw carbonate soils, are rarely colonised by Abies. Also, dry and markedly wet forest sites in the region are avoided by Abies. Permutation-based indicator species analysis found a large number of common forest species as being significantly associated with Abies and its frequent companion Fagus sylvatica, whereas there is a negative relationship with more specialised Seslerion and Erico-Pinion species. As Abies alba has very few specific companion species not shared with either Fagus or Picea, the delimitation of Abietetum-syntaxa appears mostly motivated by ecological rather than phytosociological considerations. As a result of its susceptibility towards game browsing, Abies regeneration is an indicator of high woody species richness. The study broadly confirms Abies alba's status as a climax species intermediate between Fagus and Picea, and demonstrates the potential of large phytosociological databanks for niche modelling. Keywords Ellenberg indicator values ∙ Mixed mountain forest ∙ Niche model ∙ Phytosociological databank |
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------------------------------------------------- Über die Pflanzensoziologie der bayerischen Weißtannenwälder (Abb. 1) sind wir seit Walentowski (1998) gut unterrichtet. Wie Oberdorfer (1992) unterscheidet er, einem Gefälle der Basenversorgung folgend, vier Assoziationen. Die rein azidophytischen Assoziationen Vaccinio- und Luzulo-Abietetum (Abb. 2a) unterscheiden sich in mit ihrem artenarmen moos- und zwergstrauchreichen Unterwuchs kaum von Fichtenwäldern ähnlicher Trophie und werden infolgedessen dem Verband Piceion zugeordnet. Die dem Verband Fagion zugeordneten Assoziationen Galio-Abietetum (Abb. 2b) und Pyrolo-Abietetum sowie das bei Ewald (1997) geschilderte alpische Adenostylo glabrae-Abietetum (Abb. 2c) zeichnen sich dagegen durch ein artenreiches Gemisch aus Säurezeigern und anspruchsvollen Bodenpflanzen aus, das bodenkundlich durch das Zusammentreffen basenreicher Mineralböden mit saurem Nadelhumus erklärbar ist (Ewald 1999, Härdtle et al. 2004). In den bayerischen Alpen kommen Luzulo- und Galio-Abietetum (Abb. 2a-b) auf den Sandsteinen und Tonmergeln der Flyschvoralpen, und das Adenostylo glabrae-Abietetum (Abb. 2c) auf Kalken und Dolomiten der Kalkalpen vor (Ewald 1997). Kölling et al. (2004) weisen jedoch darauf hin, dass die meisten Tannen nicht in Tannenwäldern im engeren pflanzensoziologischen Sinne zu finden sind, sondern in Bergmischwäldern mit Buche und Fichte als gleichwertigen Konkurrenten. In den Bayerischen Alpen werden diese, wiederum in einer Reihung nach zunehmendem Basenangebot, dem Luzulo-Fagetum, Galio-Fagetum, Aposerido-Fagetum oder Seslerio-Fagetum zugeordnet (Ewald 1997). Die Nennung der Pflanzengesellschaften, in denen eine Baumart mit größerer Stetigkeit vorkommt, ist freilich eine sehr grobe und hochgradig synthetische Charakterisierung ihrer Ökologie. Die große Zahl von vorliegenden Vegetationsaufnahmen ermöglicht es, die Ökologie von Abies alba weit differenzierter zu analysieren insbesondere, wenn sie, wie für die Bayerischen Alpen der Fall, in einer pflanzensoziologischen Datenbank gespeichert vorliegen. Abb. 1 Abies alba, Fagus sylvatica und Picea abies in einem bodensauren Fig. 1 Abies alba, Fagus sylvatica and Picea abies in a mixed mountain Abb. 2 Die Bodenvegetation der Tannenwälder spiegelt die trophische Amplitude von Abies alba wider: Fig. 2 Ground layer composition of Abies alba communities reflects the broad amplitude of nutrient status: In diesem Beitrag wird auf Grundlage der Datenbank BERGWALD (Ewald 1995) das ökologische Verhalten von Abies alba, jeweils differenziert nach Vorkommen in der Baum- und in der Verjüngungsschicht, analysiert. Dabei stehen die Höhenverbreitung, das Licht-, Basen-, Stickstoff- und Wasserangebot, sowie die spezifische Vergesellschaftung der Tannenverjüngung im Mittelpunkt. ------------------------------------------------- Alle Abfragen wurden in MS-Access 2002 durchgeführt. Abgefragt wurden Vorkommen von Abies alba getrennt nach Baumschicht (Wuchshöhe > 5 m) und Verjüngungsschicht (Kraut- und Krautschicht < 5m). Zusätzlich wurden die Aufnahmen mit Vorkommen von Fagus sylvatica und Picea abies in der Verjüngungsschicht abgefragt. Soweit vorhanden wurde die Meereshöhe der Aufnahmen abgefragt. Für alle Vegetationsaufnahmen wurden auf Grundlage des Vorkommens von Gefäßpflanzen, Moosen und Flechten sowie der Liste von Ellenberg et al. (2001) ungewichtete mittlere Zeigerwerte für Licht (mL), Bodenreaktion (mR), Stickstoff (mN) und Feuchte (mF) berechnet. Für die abgefragten Variablen wurden für die unterschiedlichen Aufnahmekollektive (alle Waldaufnahmen, Aufnahmen mit baumförmiger Abies, Aufnahmen mit Abies-Verjüngung) Spektren der relativen Häufigkeit erstellt sowie Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet. Aus dem Vergleich der Verteilungen wurden die ökologischen Präferenzen von Abies alba abgeleitet. Auf Basis der 3.504 Waldaufnahmen wurde die Koinzidenz von Abies alba mit anderen Pflanzenarten ermittelt und statistisch beurteilt. Zu diesem Zweck wurden die Aufnahmen mit Hilfe des Programms PC-Ord (McCune & Mefford 1999) ohne Berücksichtigung der Artmächtigkeit einer Indicator Species Analysis nach Dufrêne & Legendre (1997) unterworfen. Dabei wurde der Datenbankinhalt in je ein Aufnahmekollektiv mit und ohne Verjüngung von Abies alba geteilt. Mittels 1.000mal wiederholter, zufälliger Permutation wurde ermittelt, wie stark das Vorkommen der Arten von einer zufälligen Verteilung auf die beiden Aufnahmegruppen abweicht. Das Ergebnis wird ausgedrückt durch das Vorzeichen (positive vs. negative Präferenz), die Stärke („indicator value“) und Signifikanz (Irrtumswahrscheinlichkeit) der Präferenz. Anschließend wurden dieselben Berechnungen bezogen auf Fagus sylvatica und Picea abies durchgeführt, um das Verhalten der Bodenpflanzen hinsichtlich ihrer Präferenz für alle drei Hauptbaumarten des Bergmischwaldes vergleichen zu können. Für alle Vegetationsaufnahmen wurde die Anzahl der vorkommenden Baum- und Straucharten mit potentieller Wuchshöhe > 1 m abgeleitet. Die Verteilung der Gehölzartenvielfalt wurde nach demselben Muster wie Meereshöhe und Zeigerwerte interpretiert. Die Nomenklatur der Pflanzenarten folgt der Zeigerwertliste von Ellenberg et al. (1991). ------------------------------------------------- Bei der Verjüngung (Vorkommen in der Kraut- und Strauchschicht der Vegetationsaufnahmen) ist die Situation nur unwesentlich günstiger: 1.238 (35 %) der Aufnahmen enthalten Weißtannenjungpflanzen, deren Deckung 5 % nur selten überschreitet. Die Vorkommen von baumförmigen Tannen sind wie erwartet mit dem der Verjüngung gekoppelt: So enthalten 69 % der Bestände mit Tanne in der Baumschicht auch Verjüngung und 61 % der Aufnahmen mit Verjüngung enthalten wenigstens einzelne baumförmige Weißtannen. 2. Höhenverbreitung |
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Abb. 3 Häufigkeitsverteilung von 3.292 Wald-Vegetationsaufnahmen nach der Meereshöhe; die durchgezogenen Linien zeigen die Verteilung von tannen-haltigen Aufnahmen. |
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ohne Abies | Abies Baumschicht | Abies Verjüngung | ||||
Mittel | StAbw | Mittel | StAbw | Mittel | StAbw | |
mR | 6,06 | 0,98 | 5,42 | 0,97 | 5,34 | 1,03 |
mL | 5,20 | 0,79 | 4,65 | 0,56 | 4,67 | 0,57 |
mN | 4,58 | 1,04 | 4,73 | 0,75 | 4,74 | 0,80 |
mF | 5,22 | 0,61 | 5,33 | 0,32 | 5,37 | 0,34 |
mT | 3,86 | 0,46 | 3,84 | 0,40 | 3,80 | 0,40 |
3. Verteilung nach mittleren Ellenberg-Zeigerwerten Aus den Abweichungen lassen sich die in den Bayerischen Alpen gültigen ökologischen Ansprüche wie folgt ableiten (vgl. auch Abb. 5): Tannenhaltige Wälder weisen im Durchschnitt deutlich niedrigere Lichtzahlen (mL 4,7 ± 0,6) auf als der Rest der Bestände (5,2 ± 0,8), d. h. die Begleitvegetation besteht überwiegend aus schattenertragenden Pflanzenarten (Tab. 1). Die Weißtanne verhält sich also auch in den bayerischen Alpen als ausgeprägte Schattbaumart, die als Baum stark schattende Bestände bildet und in der Jugend wenig Licht benötigt. In Beständen mit lichtliebender Bodenvegetation (Zeigerwerte >6) wie Trockenhang-Kiefernwäldern (Calamagrostio-Pinetum, vgl. Hölzel 1996) findet man sie praktisch nicht. In Beständen mit Abies alba spielen Säurezeiger eine deutlich größere Rolle als in solchen ohne diese Baumart (mR 6,1). Da dies auf Weißtanne in der Baumschicht (mR 5,4) ebenso wie auf die Verjüngung (mR 5,3) zutrifft, muss angenommen werden, dass Tannenschirm Moder- und Rohhumusbesiedler wie z. B. viele Moose fördert und Tannenverjüngung umgekehrt im bodensauren Milieu besser ankommt als auf den im Hochgebirge oft anzutreffenden Carbonatböden mit geringer Humusauflage. Andererseits haben Tannen keine Vorliebe für extrem saure Standorte, sondern bevorzugen den Bereich unterhalb der Mitte der Reaktionsskala (Abb. 4, rechts). Die Zeigerwerte belegen außerdem eine gewisse Vorliebe der Weißtanne für überdurchschnittlich mit Stickstoff versorgte Standorte (mN 4,7). Dabei ist zu beachten, dass sich die Kalkalpen durch weithin geringe N-Zahlen auszeichnen (mittlerer mN ohne Tanne 4,6). Der Unterschied ist wohl auf die geringe Rolle der Weißtanne in Pionierbestockungen auf Rohböden zurückzuführen. Schließlich meidet die Weißtanne unterdurchschnittlich wasserversorgte Standorte, fehlt aber andererseits auch an den nassesten Waldstandorten des Wuchsgebietes. 4. Hochsignifikante Begleiter in der Bodenvegetation Ein Drittel der mit Abies assoziierten Arten wird gemeinhin den Laubwäldern der Klasse Querco-Fagetea zugeordnet. Die stetesten Vertreter dieser Gruppe sind Fagus sylvatica, Prenanthes purpurea, Acer pseudoplatanus, Viola reichenbachiana und Veronica urticifolia. Während alle diese Arten erwartungsgemäß gleichzeitig hochsignifikant positiv mit Fagus assoziiert sind, sind die Assoziationen zu Picea durchweg geringer und nur bei den stetesten Arten signifikant. Bei Sanicula europaea, Galium odoratum, Fissidens taxifolius, Ranunculus lanuginosus und Veronica montana sind die Vorzeichen der Präferenz bei Picea sogar negativ. Nur 10 Nadelwaldarten sind hochsignifikant positiv mit Abies gekoppelt: Die stetesten Arten sind Vaccinium myrtillus, Rhytidiadelphus loreus, Bazzania trilobata und Lycopodium annotinum. Unter den Nadelwaldarten mittlerer Stetigkeit gibt es solche, die mit Abies und Picea, nicht aber mit Fagus assoziiert sind (Luzula sylvatica, Huperzia selago, Plagiothecium undulatum). Luzula luzulina und Mnium spinosum sind die einzigen Arten, die nur mit Abies, nicht aber mit Fagus oder Picea assoziiert sind. Die Liste der hochsignifikant negativ mit Abies alba assoziierten Pflanzenarten ist wesentlich kürzer (Tab. 3). Seslerietea-Arten wie Sesleria varia, Carduus defloratus, Campanula scheuchzeri und Galium anisophyllon und Erico-Pinetea-Arten wie Polygala chamaebuxus, Erica herbacea und Aquilegia atrata kennzeichnen die von Abies gemiedenen offenen, pionierhaften und nährstoffarmen Kalkstandorte. An diesen pflanzensoziologischen Affinitäten wird die Ähnlichkeit zu Fagus und der Kontrast zum Verhalten von Picea sehr deutlich. Diese Auswertung bestätigt die Stellung der tannenreichen Wälder zwischen den Verbänden Piceion und Fagion, wobei die größere Zahl assoziierter Querco-Fagetea-Arten und die größere Ähnlichkeit zu Fagus die synsystematische Zuordnung bei den Laubwäldern nahe liegen. Von einer floristischen Eigenständigkeit der Abies-Wälder kann indessen keine Rede sein. Die übliche Bildung eigener Abietenion-Unterverbände ist eher waldökologisch als pflanzensoziologisch begründbar. 5. Verjüngung von Abies alba und Gehölzartenvielfalt 6. Schlussfolgerungen Die vorgestellten Auswertungen zeigen das Potential großer pflanzensoziologischer Datenbanken für die Ermittlung der Einnischung einzelner Arten. Vergleichbare Auswertungen sind für alle mit einer gewissen Mindestfrequenz in der Datenbank vertretenen Pflanzenarten möglich. Zusammen mit verwandten GIS-gestützten Methoden zur Untersuchung der statistischen Zusammenhänge zwischen Verbreitung und physiographischen Variablen (Geologie, Klima, vgl. Kölling & Borchert 2004) bieten solche Auswertungen noch lange nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten zur Erforschung der Ökologie von Baumarten. Dieses Instrumentarium eignet sich nicht nur zur Überprüfung des überlieferten Wissens, sondern auch für empirische Tests von Vorhersagen, die - manchmal vorschnell - aus spezielleren physiologischen Untersuchungen und waldkundlichen Fallstudien abgeleitet werden. Im Falle von Abies alba im Alpenraum sind die Ergebnisse wenig überraschend. Zusammenfassend kann man die Weißtanne als Schlusswaldbaumart der Bergmischwaldstufe charakterisieren, die hohe Schattentoleranz mit einer Vorliebe für saure, aber nicht zu nährstoffarme Humusauflagen verbindet (Abb. 5). Dagegen vermag sie sich an Extremstandorten nicht durchzusetzen: Sie spielt in den subalpinen Hochlagen keine nennenswerte Rolle und meidet die nassesten, vor allem aber die trockenen, nährstoffarmen und in den Kalkalpen regelmäßig stark carbonathaltigen Pionierstandorte. Als ausgesprochen verbissempfindliche Baumart ist sie ein Indikator für die Schalenwilddichte und für die davon abhängige Gehölzartenvielfalt. Abb. 4 Relative Häufigkeit von mittleren Ellenberg-Zeigerwerten von Vegetationsaufnahmen aus dem Bergwaldgebiet der Bayerischen Alpen; gestrichelte Linie/Kreise: alle Waldaufnahmen, durchgezogene Linie/Dreiecke: Aufnahmen mit Abies alba: links: Abies in der Baumschicht, rechts: Abies in der Verjüngung. Tab. 2 Arten mit hochsignifikant positiver Präferenz zu Abies alba in der Verjüngung; zum Vergleich sind die rechts die Präferenzen zu Fagus und Picea angegeben. „% ohne“/ „% mit“: Stetigkeit in Aufnahmen ohne bzw. mit Abies alba-Verjüngung; „pref“: Vorzeichen der Assoziation; „iv“: Indikatorwert; „p“: Irrtumswahrscheinlichkeit nach der Indicator Species Analysis von Dufrêne & Legendre; graue Unterlegung: Irrtumswahrscheinlichkeit > 0,1 %; rote Unterlegung: der Präferenz zu Abies alba umgekehrtes Vorzeichen.
Abb. 5 Zeigerwertökogramme von Vegetationsaufnahmen aus dem Bergwaldgebiet der Bayerischen Alpen; die grüne Punktewolke zeigt Bestände mit Abies alba vor dem Hintergrund der aller Waldaufnahmen (grau). Tab. 3 Arten mit hochsignifikant negativer Assoziation zu Abies alba in der Verjüngungsschicht; Legende vgl. Tab. 2.
Abb. 6 Häufigkeitsverteilung der Artenvielfalt in der Gehölzverjüngung von Bergwald-Vegetationsaufnahmen; Bestände mit Weißtannenverjüngung haben im Durchschnitt eine höhere Gehölzvielfalt als solche ohne die Baumart. ------------------------------------------------- ------------------------------------------------- |
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